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DER MANN, DER AUTOS MIT WIND ANTREIBEN WOLLTE

14 Mär

UTOPIEN MEINES GROSSVATERS IN GRAZ UM 1970

Willi Opa . Alter etwa 25 LWIch hatte einen irre coolen Großvater: Meinen ebenso bewunderten wie geliebten „Opa Willi“! Die Ereignisse und Erlebnisse mit ihm würden mehrere Bücher füllen. Ich habe heute noch die die schnalzenden blauen Blitze vor Augen und den Geruch des Ozons in der Nase, die wir mit einer von ihm selbst gebauten Influenzmaschine, im Idealfall windbetrieben, erzeugt haben. Und bei den jüngsten Berichten über Brennstoffzellenfahrzeuge als Alternative zu den immer populärer werdenden E-Autos mit ihren schweren Akkus und langen Ladezeiten fällt mir auch das ein: Wie ich als Kind mit meinem Opa zwei an einer Batterie befestigte Drähte in ein Wasserglas hielt. An beiden Drahtenden bildeten sich Blasen. Sauerstoff und Wasserstoff. Elektrolyse. Den Wasserstoff fingen wir mit einem umgestülpten Schnapsglas auf. Den Inhalt entzündeten wir. Flusch! Heissa juchhe. Knallgas für Miniexplosionsverpuffungsspaß! Das hat nicht immer funktioniert. Aber öfters. Und ich höre meinen Großvater sagen: „Wir werden viele Wasserstofftankstellen brauchen. Der Wasserstoff hat eine große Ausdehnung und er ist extrem explosiv. Man muss ihn komprimieren und Techniken entwickeln, wie man ihn in kleine, umfallsichere Tanks füllen kann. Passende Motoren sind kein Problem. Man kann sie in gängige Autos einbauen. Statt der stinkenden giftigen Abgase kommt dann bei diesen Autos der Zukunft nur mehr reines Wasser aus dem Auspuff.“

Willi Opa Grazer Samstag 26. April 1975 Nr. 17 S. 20 WordPress

Grazer Samstag, 26. April 1975, Nr. 17, S. 20 (Ausschnitt aus Artikel)

Bereits vor knapp einem halben Jahrhundert hat mein Großvater Überlegungen betreffend alternative Energiequellen und Umweltschutz angestellt. Er war diesbezüglich nicht der erste und nicht der einzige. Mit der Idee, wegen des Verkehr- und Parkplatzproblems einen Fluss, nämlich die durch Graz führende Mur, zu überdecken, um eine unterirdische Straße zu bauen, Parks- und Parkplätze darauf zu errichten, dürfte er es schon gewesen sein. Bei seinen „Wettermaschinen“ zur Schaffung künstlicher Schönwetterzonen und seinen Luftreinigungsgeräten bin ich mir nicht so sicher. Für mich war er jedenfalls ein Erfinder, ein Visionär, ein Andersdenker, das Maß aller Dinge. Immerhin ist 1975 sogar ein ganzseitiger Artikel in einer Zeitung über ihn erschienen: „Der Mann, der mit Wind die Autos antreibt…“ Großvater wusste so gut wie alles über Technik, Physik, Mathematik, und über Astronomie, die mich besonders interessierte. Er lebte in seiner eigenen Welt. Anderen ging er mit seinen Monologen über diese auf die Nerven. Zweifellos. Mir niemals!

Es war Anfang der 1970er Jahre, nach dem von der österreichischen Bundesregierung beschlossenen Bau des Atomkraftwerkes in Zwentendorf, an der „Wende zur Wegwerfwirtschaft“ (Zit. Großvater). Mein Großvater hielt die Kernkraft von Anfang an nicht für die richtige Energieform für Österreich. Er sah in ihr eine Gefahr für die Menschen und erkannte in der Beseitigung des Atommülls ein unlösbares Problem. Außerdem wies er in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Ölkrise im Jahre 1973 darauf hin, dass es keine Fundstätten für den Kernbrennstoff bei uns gäbe und wir uns in vielfacher Hinsicht mit einem Atomkraftwerk in eine verhängnisvolle Abhängigkeit vom Ausland begäben.

Willi DSCN0031Die Alternative sah er – neben der Nutzung der Wasserkraft und der Sonnenergie – in einer mit dem Zusammenspiel beider zusammenhängenden anderen Energieform. Sie sei reichlich vorhanden, unerschöpflich und sauber. Durch die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie werden zur Betätigung des Wasser- und Luftkreislaufes von der Hydrosphäre und Atmosphäre permanent ungeheure Mengen an Energie absorbiert. Die Menschheit habe seit Jahrtausenden den Wind genutzt, Schiffe und Windmühlen mit ihm betrieben. Ich erinnere mich noch gut an die vielen vollgeschriebenen Blätter mit seinen Berechnungen, die mein Großvater über den Wirkungsgrad der Windkraft, die Menge der nötigen Windräder, deren Betrieb etc. anstellte. Dass man aufgrund des sporadischen Charakters des Windes die aus ihm gewonnene Energie speichern musste, war ihm dabei voll bewusst. Als Lösung des Problems sah er Vorrichtungen zur Elektrolyse des Wassers zum Zwecke der Umformung der Windenergie in Wasserstoff. Der Wasserstoff war seiner Meinung nach der Energieträger der Zukunft – nicht nur ein Brennstoff für kalorische Kraftwerke, sondern auch der umweltfreundlichste Kraftstoff zum Antrieb von Fahrzeugen (Brennstoffzellenfahrzeuge – Hydrogene Fuel Cell Cars). Das bei der Elektrolyse anfallende Nebenprodukt Sauerstoff wiederum könnte zur Sanierung verseuchter Gewässer dienen. In Zusammenhang mit der Umsetzung seiner Utopie erkannte er ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm.

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Brennstoffzellenantrieb . Ein brandaktuelles Thema unserer Zeit (Foto: Air Liquide Energy)

Das Wissen und die Standpunkte meines 1897 in Wien geborenen Großvaters basierten auf seinem mit Auszeichnung abgeschlossenem Studium an der dortigen Technischen Hochschule und auf seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Konstrukteur von Hochspannungsschaltanlagen und Kraftwerken bei Siemens-Schuckertwerken. Seine heute verblüffend aktuellen Utopien hat er in seiner Korrespondenz mit Fachleuten und auch ganz unterschiedlichen Personen wie Bundeskanzler Bruno Kreisky und Otto von Habsburg dargelegt. „Aber es ist nichts geschehen“, wie mein damals bereits pensionierter Großvater 1975 am den ehemaligen Rektor der Technischen Universität Graz (Prof. Dr. Techn. Günther Oberdorfer) schreibt. 1978 resümierte er pazifistisch und pragmatisch: „Hätte man nicht auf die Generäle gehört und seit Kriegsende [1945], statt erneut zu rüsten, Wasser- und Windkraftwerke auf der ganzen Erde ausgebaut, so wäre man all den Schwierigkeiten mit den Kernkraftwerken, die erst jetzt so richtig zum Vorschein gekommen sind […] aus dem Wege gegangen.“ Man hat aber auf sie gehört. Auf meinen Opa nicht so sehr. Deshalb müssen wir uns heute erst klar darüber werden, was wir vorgestern zu tun vergessen haben, damit es uns übermorgen zumindest so gut geht wie gestern.

DI Wilhelm Braunsteiner (1897 in Wien – 1984 in Graz). Opa Willi, du fehlst mir. Ich liebe dich immer noch. Zu dumm, dass wir keinen deiner so speziellen Mokkas oder einen Earl Grey zusammen genießen und über deine Visionen reden können. Kommenden Mittwoch. So gegen 16.00 Uhr. Wie immer.

Michael . LitterART

Links zum Thema:

https://www.n-tv.de/auto/Kehrt-der-Wasserstoff-Verbrenner-zurueck-article22364694.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Günter Rauecker, Wasserstoff, Der Brennstoff der Zukunft, in: OEAMTC, auto touring 11/2017

Hanne Schweitzer, Brennstoffzellenautos, Dampf statt Diesel, DIE ZEIT, 13.11.2017

Chris Lilly, Hydrogen Fuel Cell Cars